Rechtmäßige unbezahlte Freistellung einer Arbeitnehmerin nach deren Verweigerung der vom Arbeitgeber angeordneten PCR-Testpflicht nachzukommen
BAG, Urt. v. 01.06.2022, Az.: 5 AZR 28/22
Eine Flötistin der Bayerischen Staatsoper verweigerte im Sommer 2020 gegenüber ihrem Arbeitgeber die Vorlage von anlasslosen PCR-Tests. Gegen die sich daran anschließende unbezahlte Freistellung sowie die Verpflichtung zur Vorlage der PCR-Tests wehrte sie sich gerichtlich. Das Bundesarbeitsgericht sprach nunmehr ein richtungsweisendes Urteil, das in Hinblick auf etwaig steigende COVID-19-Infektionszahlen im kommenden Herbst das Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 S2 Gewerbeordnung stärkt.
Die Flötistin sah in der betrieblichen Anordnung der anlasslosen PCR-Testpflicht ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie ihre körperliche Unversehrtheit unverhältnismäßig verletzt. Die Tests, die ca. 14-tägig durchgeführt wurden, seien zudem zu ungenau.
Die Arbeitgeberin hingegen berief sich gem. § 618 I BGB i.V.m. § 3 Arbeitsschutzgesetz auf ihre Schutzpflicht gegenüber den weiteren Arbeitnehmern der Staatsoper.
Die Flötistin ist unter Einbeziehung des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der Bayerischen Staatsoper beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag verweist entsprechend auf
§ 4 II TVK, wonach der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt ist feststellen zu lassen, ob der Arbeitnehmer frei von ansteckenden Krankheiten ist.
Die PCR-Tests konnten nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper, welches mit Unterstützung des Instituts für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum rechts der Isar entwickelt wurde und über die damaligen gesetzlichen Bestimmungen hinausging, auf Kosten der Arbeitgeberin während der Arbeitszeit durchgeführt werden. Die Anordnung der Testpflicht wurde u.a. damit begründet, dass das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung sowie das Abstandhalten aufgrund der Eigenart der Beschäftigung in einem Orchester nicht immer sichergestellt werden könne. Auch die vorab vorgenommenen technischen und organisatorischen Maßnahmen, wie der Umbau der Bühne der Oper, könnten ohne das Ergreifen weiterer Schutzmaßnahmen nicht sicherstellen, dass das Infektionsrisiko auf ein Minimum begrenzt und damit einhergehend der Spielbetrieb ermöglicht werde. Das Hygienekonzept solle zudem die Umsetzung der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung sicherstellen.
Bereits die beiden ersten Instanzen gaben der Arbeitgeberin Recht: Die Flötistin sei nicht leistungsbereit, wenn sie nicht gewillt sei ihre Arbeitsleistung zu den vertraglichen Bedingungen zu erbringen. Dementsprechend entfalle auch die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ist der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Flötistin verhältnismäßig gewesen, die Testpflicht entspreche zudem dem erforderlichen billigen Ermessen der Arbeitgeberin. Auch die informationelle Selbstbestimmung sei nicht verletzt, da ein positives Testergebnis aufgrund der gesetzlichen Meldepflichten und behördlichen Kontaktnachverfolgungen ohnehin im Betrieb bekannt werden würde.
Arbeitgebern gibt die vorliegende Entscheidung mit Blick auf etwaige zu erstellende Hygienekonzepte für kommenden Herbst Rechtssicherheit bei der Planung und Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Im Zweifel hat das Individualinteresse gegenüber dem Gesundheitsschutz zurückzutreten.